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20+ Gitarre & Laute ONLINE Oktober 2010
01.10.2010
20+ Eos Guitar Quartet Werke von Michel Camilo, Sérgio Assad, Wolfgang Muthspiel, Ralph Towner, John McLaughlin, Christy Doran, George Gruntz, Andreas Vollenweider, José Antonio Rodriguez und Mike Stern Aufgenommen im Juli 2009, erschienen 2010 Eos guitar edition [Eos Guitar Edition] 234200-B … Diese Eitelkeit und dieses schamlose Prahlen mit billigem virtuosem Schnickschnack, das Gitarristen (angeblich) zueigen ist, das habe ich bei EOS nie bemerkt …
***** Nun noch ein Jubiläum: Das Schweizer EOS-Quartett ist 1988 von Marcel
Ege, Martin Pirktl, David Sauter und Michael Winkler gegründet worden,
von den Musikern also, die heute noch das Ensemble bilden. In diesem
Jahr ist die Jubiläums-CD erschienen, eine CD mit 21 einzelnen Stücken
von jeweils unterschiedlichen Komponisten. Ein einziges Stück, die
„Russian Fantasy“ von Alexander Vinitsky ist über fünf Minuten lang, die
anderen zwischen knapp zwei und dreieinhalb Minuten. Miniaturen.
Der
Booklet-Text verrät, dass es ursprünglich zwanzig Komponisten waren,
die kurze Stücke für diese CD schreiben sollten – zwanzig wegen des
Jubiläums. Dann sind es doch 21 Stücke geworden. Also wurde aus „20“
„20+“.
Zu „Eos“, der griechischen Göttin der Morgenröte, sollten
alle Stücke einen Bezug haben. Eos war zuständig, allmorgendlich mit
ihrem Gespann aufzutauchen und den beginnenden Tag anzukündigen. Als
Frühaufsteherin sozusagen, und auch ein wenig als Mahnerin daran, dass
man den Tag nicht verschlafen sollte.
Dass ausgerechnet Musiker
zu der Göttin der Morgenröte eine freundschaftliche Beziehung haben,
kann ich mir eher nicht vorstellen. Lassen Sie mich also schauen,
welches Urteil sie musikalisch über Eos oder (in Rom) Aurora abgegeben
haben. Mit Maximo Diego Pujol beginnt das Programm: „Naranjas urbanos“.
Das sind keine städtischen Orangen, „Naranjas urbanos“ ist eine Metapher
für das schmutzige Grauorange des Himmels über Buenos Aires früh am
Morgen. Und man hört die Stadt erwachen … nicht so wie Jacques Dutronc
Paris morgens um fünf gehört hat, nein, aber man hört den Tango der
frühen Stunden … oder ist es der der Übriggebliebenen? Der hinreißende
„Tango for ten“ von Michel Camilo schließt sich attacca an … und über
allem schwebt Che Astor, der Große. Von Leo Brouwer hören wir ein Stück
namens „Los Caminos del Viento“ und wir erinnern uns an den Regen auf
Cuba und andere Naturereignisse … aber auch an den Sonnenaufgang?
Von
den insgesamt 21 Stücken dieser CD will ich nur ein paar erwähnen –
schließlich ist dies ein außerordentlicher Geburtstagsstrauß farbigster
Art mit diversen Düften. Wolfgang Muthspiel zum Beispiel steuert ein
melancholisches Stück namens EOS bei; Paco de Lucia „Cositas Buenas“,
einen Flamenco, den er nicht eigens für diese CD komponiert, deren
Bearbeitung für vier Gitarren er aber abgesegnet hat; José Antonio
Rodríguez, auch einer der großen Aficionados, hat gleich vorher seine
„Danza de Amanecer“ für das Quartett geschrieben, seinen „Tanz der
Morgendämmerung“, der einen wilden und farbenprächtigen Morgen
verspricht, einen spektakulären Sonnenaufgang; und, um auch einmal einen
Gitarristen als Gratulanten zu nennen, Roland Dyens hat ein Stück mit
der Überschrift „Seul à seuls“ für EOS geschrieben und sich wieder
einmal als genialer Improvisator bewiesen, der sein Instrument kennt und
einsetzt, wie kaum ein anderer und der Musik schreibt, die natürlich
und ungezwungen einherkommt, als wäre sie improvisiert; und schließlich
Mahmoud Turkmani. Er hat selbst vor einigen Jahren ein Gitarrenquartett
gegründet, das „Ludus Guitar Quartet“, und hat auch mit diesem Ensemble
Platten eingespielt. Davon gleich mehr!
Das Programm, das das
EOS-Quartett hier vorlegt, ist außergewöhnlich – kurzatmig auf der einen
Seite, weil es nur aus Mini-Piècen besteht, weit und großzügig auf der
anderen, weil es ein großes Spektrum unterschiedlicher Musiken anbietet.
Musiken, die ausnahmslos unbekannt sind.
Fast ist es
unangebracht, sich nun noch über die Musiker des EOS-Quartetts zu
äußern, die schließlich die Gastgeber sind, Gastgeber zu einer
Geburtstagsparty. Die vier Schweizer zeichnen sich nicht nur durch hohe
Professionalität aus, sie sind auch erfrischend ungitarristisch. Diese
Eitelkeit und dieses schamlose Prahlen mit billigem virtuosem
Schnickschnack, das Gitarristen (angeblich?) zueigen ist, das habe ich
bei EOS nie bemerkt und das würde, zugegeben, auch nicht zu ihrem
eidgenössischen Image passen. Sie sind ernsthafte Musiker … aber mit
Spaß an der Musik und am Musizieren. Und sie haben einen Blick für
musikalische Qualität. Für Komponisten, die ihnen Stücke schreiben und
für die Kunst, diesen gerecht zu werden!
Gitarre & Laute ONLINE Oktober 2010 Peter Päffgen
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